phönikische Kultur: Kunstwerke und Kulturtechnik - Spuren der Phöniker im Mittelmeerraum

phönikische Kultur: Kunstwerke und Kulturtechnik - Spuren der Phöniker im Mittelmeerraum
phönikische Kultur: Kunstwerke und Kulturtechnik - Spuren der Phöniker im Mittelmeerraum
 
Es muss ein buntes Volk gewesen sein, das etwa seit dem 12./11. Jahrhundert v. Chr. von der Levanteküste aus die Häfen und Küsten des Mittelmeers anzulaufen begann, um mit den dort neu aufsteigenden Aristokratien Kontakte zu knüpfen. Neben erfahrenen Kapitänen, die sich auch ohne Sextanten und Seekarten auf dem Mittelmeer zurechtzufinden wussten, waren es Kaufleute, die zumeist wohl im Auftrag des jeweiligen Stadtkönigs reisten, daneben Prospektoren und Metallurgen, die das wichtige Geschäft der Rohstoffgewinnung und -verwertung beherrschten. Sie alle kannten Kulturtechniken, die sie den Bewohnern der Gastländer weitergeben konnten: die Töpferei auf der schnell drehenden Scheibe, schwierigere Methoden der Pflanzen- und Tierzucht, Wägen und Messen, Rechnen und Schreiben.
 
Die Zeugnisse ihres Wirkens sind oft nur unter Schwierigkeiten oder auf Umwegen auszumachen - etwa, wenn unerwarteterweise in spätbronzezeitlichen Siedlungsschichten Andalusiens auf der Töpferscheibe gedrehte Keramik und geschmiedetes Eisen auftreten, im frühgriechischen Schmuck die seit der mykenischen, bronzezeitlichen Epoche »verlernte« Granulationstechnik wieder aufgenommen wird oder im orientalisierenden Stil Etruriens im Tischgeschirr bestimmte neue Gefäßformen auftauchen, aus denen man auf die Aufnahme neuer Gerichte in die tägliche Speisekarte und auf neue Tischsitten an den Fürstenhöfen schließen kann. Von besonderem Interesse sind jedoch die kostbaren Gastgeschenke, die im Zusammenhang mit eben jenen frühen Handelskontakten zwischen den Agenten der phönikischen Handelsherren einerseits und den Lokalfürsten und Adligen der regionalen Siedlungsgemeinschaften im Mittelmeerraum andererseits ausgetauscht wurden. Diese Wechselgeschenke - oft genug wahrscheinlich einseitig gegebene Werbegeschenke - dienten der Bekräftigung schon bestehender guter Beziehungen unter Geschäftspartnern und Freunden; sie halfen darüber hinaus den Handelsvertretern, sich in unbekannten und etwas »reservierteren« Stammesverbänden oder in jüngeren und aufsteigenden städtischen Gesellschaften ein gutes Entree zu verschaffen. Ein eigentliches Handelsgut im Rahmen eines regulären Warentausches innerhalb des Mittelmeerraums waren diese Objekte wohl nur in Ausnahmefällen.
 
Ein typisches Beispiel für ein solches Präsent ist der silberne Kessel, den nach der Überlieferung Homers Achilleus bei den Leichenfeiern zu Ehren seines gefallenen Freundes Patroklos als Preis für den Sieger im Wettlauf aussetzt (Ilias 23, 741 ff.): »ein Silber-Mischgefäß, kunstvolle Arbeit. .. denn Sidonier voller Kunstsinn hatten's schön gefertigt, Phöniker aber hatten's mitgebracht über das dunkle Meer hin. .. und dem Thoas es als Gastgeschenk gegeben«. Charakteristisch ist auch der von Homer bezifferte Wert des Prunkstücks: »mehr als ein Mastochse und 25 Pfund Gold« - also ein wahrhaft fürstlicher Preis, der ohne Frage den Arbeits- und Kunstwert einschloss.
 
Der besondere Rang dieser innerhalb des Wertgefüges der archaischen Gesellschaft durch nichts zu ersetzenden Werbe- und Wechselgeschenke dürfte dazu geführt haben, dass sich manches Objekt erhalten hat - bezeichnenderweise in den reichen Fürstengräbern: auf Zypern und in Griechenland (vor allem aus dem 10. und 9. Jahrhundert v. Chr., der protogeometrischen und der geometrischen Zeit), in Etrurien und in Iberien. Denn als »Geschenk« waren sie zum höchsteigenen Besitz der Mitglieder der jeweiligen Elite geworden, der dann als Grabbeigabe auch mit in das Leben nach dem Tode genommen wurde. Dem besonderen sozialen Rang dieser »Geschenke« wurde auch Rechnung getragen, wenn man sie, wie später vielfach in Griechenland, den Göttern weihte und dem Tempel und seiner Priesterschaft zur Aufbewahrung und zur rühmenden Schaustellung anvertraute.
 
Die Palette der Luxus- und Prestigeartikel, die für diese Art von Geschenken infrage kamen, ist breit. Nahezu alle Lebensbereiche wurden berücksichtigt, von der persönlichen Körperpflege bis zur öffentlichen Repräsentation, vom friedlichen Gastmahl bis zum kriegerischen Waffengang. So findet man in den fürstlichen Gräbern persönlichen Schmuck und - als besonders wirkungsmächtig angesehene - Amulette, Kosmetikartikel wie Kämme und Schminkschälchen, Speise- und Trinkgeschirr (gelegentlich auch große Service für die Bewirtung bei entsprechenden Gastmählern), privates oder repräsentatives Mobiliar wie Bett oder Thron, außerdem spezielle Geräte für die Durchführung von Opfern und nicht zuletzt Waffen und Kriegsgerät wie beispielsweise Streitwagen.
 
Besonders prominent sind in diesem Rahmen die früher kyprophönikischen Schalen aus Bronze. Auf der Innenseite zeigen sie mit ihren in getriebenem Relief und zusätzlicher Ziselur verzierten konzentrischen Bildfriesen ein reiches Motivrepertoire phönikischer Kunst. Die Zahl der auf die Produktion solcher Meisterwerke spezialisierten Werkstätten war sicher nicht unbeträchtlich, wie sich allein schon aus den stilistischen Unterschieden der einzelnen erhaltenen Stücke erschließen lässt. So ist etwa deutlich zu beobachten, wie die Bildersprache der ägyptischen Kunst von den einzelnen Meistern bald mehr, bald weniger genau oder vollständig übernommen wurde und sich dabei durchaus individuelle »Künstlerhandschriften« entwickelten.
 
Ein zu hoher technischer und künstlerischer Meisterschaft gelangtes Gewerbe, für das die phönikischen Städte an der Levanteküste von allen Zeitgenossen gepriesen und auch beneidet wurden, war die Herstellung von Glas. Allem Anschein nach handelte es sich hierbei nicht, wie im Altertum selbst vielfach behauptet, um eine »Erfindung« der Phöniker. Wohl aber scheint die hoch spezialisierte Fertigungstechnik von ihnen vervollkommnet worden zu sein. Parfümflacons aus buntem Glas wurden unter Verwendung eines südlich von Tyros gewonnenen, besonders zusammengesetzten Meersandes offenbar zuerst in Sidon, dann auch in anderen phönikischen Zentren hergestellt. Sie wanderten als Zeichen für persönlichen Luxus und kosmetische Raffinesse in die Kemenaten des Altertums, am Mittelmeer nicht anders als im Vorderen Orient. Herausragende Einzelstücke wie die in edlem Blau leuchtende, in ihrer überzeugend schlichten Gestalt einmalige Glasschale aus dem Bernardini-Grab von Praeneste bei Rom waren wohl auch wegen ihrer vollendeten Form, ihrer absoluten Seltenheit und Kostbarkeit geschätzt.
 
Die über die gesamte punische Welt des westlichen Mittelmeers verbreiteten farbigen Glasanhänger in Form eines meist bärtigen Kopfes sind dagegen Allerweltsprodukte des 5. bis 3. Jahrhunderts v. Chr.; sie waren zweifellos in erster Linie als wirkmächtige Amulette begehrt. Sie zeigen den obersten Gott Baal Hammon und sind ein besonders spektakuläres Element des in allen Kulturen der Alten Welt lebendigen Volks- und Aberglaubens. Ihre Allgegenwart ist zugleich ein Anzeichen dafür, wie sehr gerade die phönikische Kultur von Formen und Inhalten volkstümlicher Religiosität geprägt war. Dies wird noch deutlicher, wenn man auch andere phönikische Amuletttypen betrachtet, etwa die schon etwas früher verbreiteten, in Herstellung wie Verarbeitung deutlich billigeren »ägyptisierenden« Anhänger aus Fayence oder die ebenfalls in großer Fülle erhaltenen Skarabäen, die häufig aus preiswertem Schmuckstein (wie Jaspis und Karneol) geschnitten sind.
 
Sicherlich diente auch der erhaltene phönikische Goldschmuck in den meisten Fällen als Amulett. Gerade bei den häufig verwendeten ägyptisierenden Motiven - etwa der geflügelten Sonnenscheibe, dem Horusfalken, dem von Uräusschlangen bekrönten Berg oder »Obelisken« - ist dies mit Händen zu greifen. Es gibt gute Gründe, solche symbolhaltigen Darstellungen mit Tinnit (oder Tanit), der westphönikischen (punischen) Herrin des Lebens und des Todes, in Verbindung zu bringen. Ob dagegen jedes einzelne Rosettenmotiv in diesem oder jenem Schmuckstück aus der phönikischen »Provinz« die segnende Kraft der Astarte beschwören sollte, die in der vorderasiatischen Heimat in der Tat im Rosettensymbol gegenwärtig sein konnte, lässt sich wohl kaum mehr eindeutig nachweisen.
 
Ein im Altertum schließlich nicht weniger berühmtes, in der Sorgfalt und dem Reichtum der Gestaltung den erwähnten Bronzeschalen wohl ebenbürtiges Produkt phönikischer Kunstfertigkeit waren die mit dem tyrischen Purpur gefärbten oder farbig ornamentierten (und möglicherweise figürlich verzierten) phönikischen Stoffe. Von ihnen hat sich nichts erhalten. Auch die Nachrichten über ihre Herstellung und ihre vielleicht in der Bildersprache der griechischen und etruskischen Kultur hinterlassenen Spuren reichen für eine zutreffende heutige Beurteilung nicht aus.
 
Die erzählende Bilderwelt, die sich im Kielwasser der phönikischen Expansion im Mittelmeerraum verbreitete und über die mit Bildern häufig geradezu überfrachteten Luxus- und Prestigeartikel Eingang in die vor- und frühgeschichtlichen Kulturen der Mittelmeerwelt fand, forderte dort zur Auseinandersetzung heraus. In einigen Fällen wurde dadurch ein kultureller Anpassungsprozess in Gang gesetzt, etwa indem auch die »Botschaft« der repräsentativen Andachtsbilder oder der symbolischen Handlungsbilder erkannt und gelernt wurde. Da dieser Prozess in den betroffenen Gesellschaften von einer immer deutlicher werdenden sozialen Schichtung begleitet war, wurde jene »exotische« Fracht von »draußen« benutzt, um »drinnen« die Unterschiede im hierarchischen Gefüge zu verdeutlichen.
 
Die Versuchung, einzelne herausragende Kunstwerke im Kontext eines solchen Anpassungsprozesses in ihrer Bedeutung überzubewerten, ist groß. Tatsächlich ging es jedoch nicht nur um den Erwerb oder Besitz des »exotischen« Gegenstandes, sondern auch um die Übernahme dessen, »was man mit diesem Gegenstand macht«, also um den Erwerb einer bestimmten, als überlegen angesehenen Kulturtechnik. Dieser Prozess lässt sich an einigen besonders aufschlussreichen archäologischen Befunden überprüfen. Hierzu gehört die Beobachtung, dass ein klassisches phönikisches Kultgerät, der Räucherständer, den man noch auf den Relief- und Ritzstelen der Spätzeit bei Darstellungen von Opferhandlungen findet, zu einer der typischen Grabbeigaben tartessischer Lokalfürsten im Süden der Iberischen Halbinsel wurde; er war gleichsam Bestandteil einer persönlichen Ausrüstung, deren man zum ordnungsgemäßen öffentlichen Vollzug eines neu erlernten Opferritus bedurfte. Genauso benötigte man ein bestimmtes Trinkservice, ein Speisegeschirr, ein entsprechendes Brat- und Kochgerät (auch davon finden sich deutliche Spuren in den Grabbeigaben), um als Adliger von Rang zur Stärkung des eigenen Ansehens in der Gesellschaft die Festtafel für seine Gäste in angemessener Üppigkeit decken zu können - so wie es Homer bei seiner Schilderung der Zustände am Hof des Odysseus vor dessen Rückkehr nach Ithaka beschreibt.
 
Prof. Dr. Hans Georg Niemeyer

Universal-Lexikon. 2012.

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